Blick auf Davos
Bergtannen am Hang
Sich waschende Dodo
Akt und Stilleben

Ernst Ludwig Kirchner

Blick auf Davos

Um 1918
Aquarell, Gouache und schwarze Kreide auf Velin
36,1 x 48,7 cm


Inspiriert und berührt von den majestätischen Bergen und der alpinen Welt entfaltet der Künstler in Davos neue Energie und Kreativität. Im Herbst 1918 bezieht Kirchner zunächst das „Haus in den Lärchen“ in Davos-Frauenkirch und malt in der Abgeschiedenheit der Bergwelt eine Gruppe von Aquarellen – wozu wohl auch unser vorliegendes, äußerst farbfrohes Aquarell gehört. Es zeigt Kirchners Fernblick auf Davos Zentrum mit der Kirche St. Johann, deren spitzer grüner Kirchturm in den bewaldeten Hängen und Wiesen seine Entsprechung findet. Von links nach rechts sind die Gipfel das Kleine Schiahorn, das Große Schiahorn und der Grüne Turm zu sehen. Denselben Panoramablick hält Kirchner u.a. 1924 zwei weitere Male in bedeuten Gemälden fest. Im Gegensatz zur reinen Panoramasicht platziert Kirchner in unserem Aquarell fast blattfüllend einen einzelnen Baum vorne links vertikal ins Bild, umgekreist von einem dreigliedrigen breiten Holzlattenzaun. Man fühlt sich als Betrachter dadurch hineingezogen in die Ansicht und so, als stünde man direkt neben dem Maler.

Es ist förmlich zu spüren, mit welcher Begeisterung und Intensität sich Kirchner dem Naturstudium hingibt. Sein spezifischer zeichnerischer Duktus rhythmisiert die gesamte Komposition, dynamische Linien und leuchtende Farben spiegeln sein Erleben wider. Die bewaldeten Berghänge und steilen Wiesenabschnitte setzt der Künstler etwa aus einer Vielzahl nebeneinandergesetzter Pinselstriche aus kräftigen Blau-, Rot-, und Grüntönen zusammen und die majestätischen Berge erscheinen so nicht statisch, vielmehr ist die Natur mit ihren wechselnden Lichtspielen in dauerhafter Bewegung. In der gesamten Anordnung ergibt sich ein graphisches, ornamentales Muster – Kirchners sog. „Teppichstil".

Ernst Ludwig Kirchner

Bergtannen am Hang

1918/19
Schwarze Kreide auf Velin
55,9 x 36,5 cm


Unsere kraftvolle, dichte Zeichnung in großem Format zeigt das steile Gelände und den Tannenwald oberhalb des Bauernhofs "In den Lärchen“ auf der „Längmatte“ bei Frauenkirch, welchen Kirchner 1919-1923 bewohnt. Im Oktober 1918 sucht er nach der Entlassung aus dem Nervensanatorium in Kreuzlingen Heilung und Ruhe. Er beginnt mit frischen Kräften und großem Elan seine künstlerische Arbeit, wobei er seine neuen Eindrücke in einer wahren Flut von Skizzen, Zeichnungen und Aquarellen rund um das Thema „Bergwald“ und „Waldinneres“ festhält. Kirchner ist geradezu fasziniert von der ursprünglichen Natur, den Berggipfeln und majestätischen Tannen.

In ekstatischen, schwungvollen Linien und Kürzeln erfaßt Kirchner Gestein, Gewächs, Flora und Fauna sowie die hohen Tannen und Baumwipfel. Die Vereinfachung der Form scheint noch weiter vorangeschritten, wobei die Art und Weise des lebhaften Kreidestiftes noch einen deutlichen Nachklang des nervösen Strichs der Großstadtszenen Kirchners aus den Jahren zuvor enthält.

Ernst Ludwig Kirchner

Sich waschende Dodo

1908
Farbkreide auf Velin
17,2 x 22 cm


Unser Blatt zeigt Kirchners Freundin der Dresdner Jahre, die Hutmacherin Doris (“Dodo”) Grosse, die ihm in dieser Zeit das liebste Modell und zugleich auch in seiner Dresdner Zeit seine Lebensgefährtin ist. „Kirchner hat Dodo geliebt,“ führt Gerd Presler in seinem Buch über Kirchner und die Frauen aus, „Er hat um der Kunst willen diese Liebe aufgegeben. Und auch Dodo hat um seiner Kunst willen Schweres auf sich genommen bis zum Verzicht auf ein Leben mit ihm. […]“. In unserer intimen Szene der sich waschenden Dodo wird jener enge Bezug des Künstlers zu seinem Modell spürbar.

Kirchner konzentriert sich auf den Akt und die rasche farbige Wiedergabe der Umgebung, vermutlich ein Teppich – alles was zählt, ist der spontane Ausdruck, weshalb das Modell auch nicht länger als eine viertel Stunde in einer Pose verharren durfte. Kirchner zwingt sich so zu einer Art „Kurzschrift“, nur Wesentliches, Körperformen und Konturen werden spontan und mit wenigen Strichen wiedergegeben. Die noch „weich“ gezeichneten, weiblichen Körperformen sind in jener Zeit typisch für den Dresdner Frühstil Kirchners, jedoch kündigt sich hier und da, etwa am Kinn, schon der neue harte, kantige Stil an, der auch in den Zeichnungen holzschnitthafte Formen annimmt.

Ernst Ludwig Kirchner

Akt und Stilleben

1909-10
Rohrfeder und Pinsel auf festem Velin
14,4 x 22,4 cm


Lise Gujer, 1893 in Zürich geboren, wohnt ab 1915 in Davos-Clavadel in späterer räumlicher Nähe zu Kirchner, der 1917 aufgrund körperlicher und psychischer Leiden Berlin verläßt und in die Schweizer Berge zieht. Spätestens 1922 lernt die Weberin den Künstler und seine Lebensgefährtin Erna Schilling kennen, eine Freundschaft entwickelt sich. Ab 1923 ist eine Zusammenarbeit von Kirchner und Gujer dokumentiert, dabei setzt Gujer Kirchners Entwürfe als Wirkereien um. Nach Kirchners Tod erwirbt sie mehrere Skizzenbücher, ganze Konvolute von kleinen Zeichnungen aus Skizzenbüchern und persönliche Dokumente und Korrespondenz. Nach Gujers Tod wird diese Sammlung sukzessive vom Auktionshaus Kornfeld & Klipstein in Bern zur Auktion gebracht.
Unsere feine Zeichnung stammt aus einer sog. "Sammelnummer" der bei Kornfeld in Bern stattfindenden Auktion 1968. Diese Losnummer wird im Katalog als Nr. 15 zusammengefaßt, u.a. mit den Worten: "Bedeutende Gruppe von 27 Zeichnungen, beginnend mit Blättern aus der Dresdner Zeit bis zu späten Davoser Darstellungen."

Typisch für die Werke der Phase seines Schaffens um 1909/10 ist die Betonung der schwarzen kräftigen Konturen und der „weichere“ expressive Zeichenstil. Die Linien des weiblichen Modells sind fließend, haben etwas Unbeschwertes. In der Forschung wird dies auch als der „hieroglyphische Malstil“ (um 1910) bezeichnet, ein Begriff, den Kirchner später selbst als „Ekstase des ersten Sehens“ umschreibt. Es handelt sich um eine formelhafte Abkürzung des weiblichen Körpers und die Reduzierung des Aktes auf wenige Striche und Linien.

Über Ernst Ludwig Kirchner

Geboren: 1880 in Aschaffenburg
Gestorben: 1938 in Davos

Bereits im jungen Alter von 25 Jahren gründet Ernst Ludwig Kirchner 1905 die Künstlervereinigung „Die Brücke“. Zusammen mit seinen Kommilitonen Erich Heckel, Gritz Bleyl und Karl Schmidt-Rottluff, die er während seines Architekturstudiums in Dresden kennen lernt, wollen sie traditionelle, konservative Kunsttraditionen überwinden und neue Ausdrucksformen etablieren. Sie alle verstehen sich selbst als Autodidakten. Kirchner kann als führende Kraft dieser Gruppe mit ihrer unmittelbar erfassten, antibürgerlichen Kunstauffassung gelten, deren Werke sich auf das Notwendigste reduzieren, mit rohem Duktus und intensiven Farben. Und auch wenn sich der Künstlerverein, den wir heute als Keimzelle des deutschen Expressionismus betrachten, 1913 nach acht Jahren wieder auflöst, sollten Kirchners wichtigste Arbeiten erst noch entstehen: 1911 umgesiedelt nach Berlin wird die Großstadt des Künstlers bevorzugtes Bildmotiv, wie die großformatige, ikonische Straßenszene „Potsdamer Platz“ eindrucksvoll belegt. 1915 zieht der Künstler wie so viele andere Zeitgenossen mit ihm freiwillig in den Krieg – ein verhängnisvoller Schritt, infolgedessen Kirchner sich nach körperlichem und seelischem Zusammenbruch in einem Sanatorium bei Königstein (Taunus) behandeln lässt. Ab 1917 sprechen wir vom Spätwerk des Künstlers, dass sich nach seinem Umzug nach Davos in die Schweiz durch tapisserie-ähnliche Landschaftspanoramen und ausdrucksstarke Figurenbilder auszeichnet. Der sogenannte „Neue Stil“ ist gekennzeichnet durch eine linear abstrahierende, flächige Malweise. Die Nationalsozialisten diffamieren Kirchner als „entarteten“ Künstler und beschlagnahmen 639 seiner Werke. Verzweifelt und von Krankheit und Wahn geplagt, begeht Kirchner – nachdem er viele seiner eigenen Skulpturen und Werke zerstört – in Frauenkirch-Wildboden 1938 Selbstmord.