Marianne von Werefkin
Straßenecke in Ascona ("Teatro Fantoci")
1931
Aquarell, Tusche und Bleistift auf beigem Velin, am oberen Rand perforiert
25,7 x 20,7 cm
Unter Einsatz expressiver Farbkontraste bannt Werefkin eine Frauenfigur (vermutlich sie selbst) an einer Straßenecke stehend auf's Papier. Von der Künstlerin prominent genau in der Bildmnitte platziert, blickt diese auf ein an der Hauswand platziertes Plakat bzw. Banner mit der Aufschrift „Teatro FanToc[c]i“ (ital., Pl. für „Marionetten“) – darunter befinden sich drei Profile einer Marionette. Ihre Bezeichnung „FanToci“ befindet sich auch auf der ehemaligen Unterlage des Blattes.
Unsere Papierarbeit verkörpert zunächst die starke Verbundenheit der in Russland geborenen und ausgebildeten Künstlerin mit Ascona. Werefkin liebt die Schönheit ihres neuen Heimatortes im Exil, dessen Geschichte und Traditionen wie auch Menschen. Mit diesem Motiv und dem Blick auf das Werbeplakat für ein „Marionettentheater“ spiegelt sich aber auch ihr lebenslanges, in Werken verewigtes Interesse an Bühnenkunst, Varieté und Maskeraden.
Puppentheater haben in der Schweiz und insbesondere in Ascona eine Tradition, etwa das Schweizerische Marionettentheater, das bis 1935 an der Kunstgewerbeschule Zürich besteht und dessen Künstler zwischen Ascona und Zürich pendeln. Dort werden z.B. Marionetten von Otto Morach gezeigt, eines Expressionisten, der sich wiederholt in Ascona aufhält – seine Holzpuppen ähneln den "Harlekinen" auf Werefkins Plakat. Die Künstlerin steht zweifelsfrei in lebhaftem Kontakt mit dem lokalen Künstlermilieu Asconas, etwa der lebensreformerischen Kolonie des Monte Veritá. Dessen Künstler werden später Mitarbeiter des berühmten „Teatro delle marionette di Ascona“ (1937-1960) unter Jakob Flach, der als Teil des so genannten „Künstlertriumvirats“ auf dem Monte Verità auftritt.
Unser Werk ist ein Paradebeispiel für das bedeutende Spätwerk Werefkins, deren Bilder so einfach wie rätselhaft, aber nie vollständig „lesbar“ sind. Es passt in eine Reihe von Arbeiten, in die Werefkin Worte integriert. Dieses „Text-im Bild-Prinzip“ – ein Mittel extremer Modernität – fügen auch Klee, Macke oder Picasso in ihre Bilder ein, u.a. als Repräsentanten der Wirklichkeit. Unser Aquarell enthält alle Eigenheiten die Werefkins Werk bis zu ihrem Lebensende charakterisieren und so faszinierend machen: Die starke Farbenpracht, das Streben nach Abstraktion, eine kuriose, geheimnisvolle Grundstimmung und Symbolik, die ihre Bildfiguren umgibt sowie das Andeuten von Geschichten, die wir als Betrachtende mühelos „weiterspinnen“ können.